




Morgenandacht, 27.06.2015
von Pfarrer Christoph Seidl aus Regensburg
Mit dem Unberechenbaren rechnen
„Das Wetter am Siebenschläfertag sieben Wochen bleiben mag.“
Und? Haben Sie schon aus dem Fenster geschaut, wie das Wetter heute ist? Sie kennen diese alte Bauernregel, die über die Jahrhunderte hinweg eine relativ hohe Treffgenauigkeit bewiesen hat. Nun, da diese Regel schon lange vor der gregorianischen Kalenderreform im Jahr 1582 entstanden ist, die dem Jahr 10 Tage genommen hat, trifft der Siebenschläfertag der früheren Regel heute eigentlich auf den 7. Juli. Und die Meteorologen haben in der Tat eine statistische Häufung für eine stabile Wetterlage in dieser Zeit festgestellt. Soweit – so gut! Und wenn es anders kommt? Naja, dann trifft die Regel halt in diesem Jahr nicht zu … So ist das mit Regeln, sie kennen Ausnahmen.
Mich interessiert, was dahintersteckt. Warum würden wir immer gerne vorher wissen, wie das Wetter wird? Nun gut, für die Landwirtschaft ist es wichtig mit Blick auf die Ernte. Hier sind solche Regeln ja auch entstanden aus der Erfahrung von Generationen. Andere Menschen haben dieses große Interesse an Wettervorhersagen meist aus anderen Gründen: Urlaubsplanung, Freizeitgestaltung, kann das Grillfest im Garten stattfinden? Soll ich mir selber frei nehmen oder lieber doch für den Kollegen in der Arbeit einspringen? Das ist eigentlich nicht existenziell von Bedeutung, aber solche Überlegungen können sich manchmal ziemlich großes Gewicht nehmen. Und wenn ich weiter nachdenke, dann entdecke ich, dass Menschen in immer mehr Bereichen ständig wie gebannt Entwicklungen beobachten: die Börsenkurse zum Beispiel, die Zinsentwicklung, die Spritpreise, die Sonderangebote im Supermarkt. Es gibt Jahresprogramme, und bisweilen auch 3-, 5- oder gar 7-Jahrespläne, die uns in unterschiedlichsten Bereichen Sicherheit geben wollen. Ich denke aber auch an den Bankencrash und die immer sensibler reagierenden Finanzmärkte auf der Welt, bei denen – frei nach Edward N. Lorenz – der Flügelschlag eines Schmetterlings am Amazonas einen Tornado in Texas auslösen kann. Und noch einen Schritt weiter, wirklich existenziell: Ich denke an die Familienplanung und daran, was geschieht, wenn es anders kommt. Ich denke an die bange Frage vieler Menschen, wie sie ihr Alter erleben werden – bis hin zu genauen Plänen, wie sie sich ihr Lebensende vorstellen, meist natürlich aus der Perspektive eines völlig gesunden und aktiven Lebens. Und ich frage mich, ob mich diese Art von Planungen und Vorhersagen im Leben wirklich sinnvoll unterstützen – oder vielleicht auch am konkreten Leben hindern?
Der Siebenschläfertag hat seinen Namen von einer altchristlichen Legende. Demnach hatten sieben junge Christen in der Zeit der Christenverfolgung unter Kaiser Decius um 250 in einer Berghöhle nahe Ephesus Zuflucht gesucht. Sie seien dort lebendig eingemauert worden und hätten dann 195 Jahre lang geschlafen. Am 27. Juni 446 seien sie zufällig entdeckt worden, aufgewacht und hätten den Glauben an die Auferstehung der Toten bezeugt. Wenige später seien sie eines natürlichen Todes gestorben.
Legenden schmücken einen wahren Kern mit viel phantasievollem Dekor aus. Dass sich Menschen etwas ausmalen können, ist eine wichtige Fähigkeit. Ich kann mir natürlich die Zukunft ausmalen, wie ich sie gerne hätte. Ich könnte diese menschliche Gabe der Phantasie aber auch nützen, um mit dem umgehen zu lernen, wie es tatsächlich kommt! Die Siebenschläferlegende sagt mir: Im Leben kommt es oft ganz anders als geplant. Mit dem Tod kann es aber auch ganz anders sein, als wir uns das denken. Es gibt eine Wirklichkeit allen Berechnungen und Voraussagen zum Trotz.
Mit dem Unberechenbaren rechnen – das ist für mich die Botschaft des heutigen Tages.
Über den Autor Pfarrer Christoph Seidl

seidl@seelsorge-pflege.de
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