




Wort zum Tage, 05.02.2021
von Pfarrer Christoph Seidl, Regensburg
Heiter bleiben
„Ich habe den Eindruck, die Gummibänder der Maske drücken meine Ohren immer mehr nach vorne!“,
sagt eine junge Frau ziemlich entnervt an der Bushaltestelle zu einer anderen.
„Was soll ich da sagen?“,
meint die andere.
„Im OP trage ich die Dinger schon seit Jahren acht Stunden am Tag. Was glaubst Du, warum ich mir die Haare so lange hab wachsen lassen? Damit man meine abstehenden Ohren nicht so sieht!“
Und beide lachen sich halb schief, auch die entnervte Freundin.
Mit Lachen geht offensichtlich vieles leichter. Das hat nichts damit zu tun, Sorgen und Probleme nicht ernst zu nehmen oder gar den Menschen, der sie äußert, auszulachen. Aber das Lachen nimmt mancher Dramatik die Spitze, das Unerträgliche.
In diesen Tagen blasen viele Trübsal, weil es im Karneval oder Fasching keine entsprechenden Veranstaltungen gibt.
Viele vermissen es, einmal richtig außer sich zu sein. Das bedeutet aber doch nicht, dass Humor nicht erlaubt wäre!
Denn Humor hilft ja auch, einen Schritt aus sich herauszutreten und die Dinge mit einem gewissen Abstand zu betrachten. Besser, als sich in Unveränderliches hineinzusteigern, ist es doch, eine innere Distanz dazu zu gewinnen – und dazu verhilft ganz entscheidend das Lachen, weil es entlastend und heilsam wirkt.
Der Psychiater Viktor Frankl hat mit dem Humor sogar eine therapeutische Methode entwickelt, die paradoxe Intervention. Es geht darum, so weit zu kommen, dass man sich über die eigenen belastenden Verhaltensweisen, wie z.B. Ängste lustig machen kann. Frankl sagt:
„Es gibt kaum etwas im menschlichen Dasein, das dem Menschen so sehr ermöglicht, Distanz zu gewinnen, wie der Humor.“
Frankl illustriert die Methode unter anderem an einem Beratungsgespräch mit einer Studentin, die äußerst nervös bei ihm erscheint.
Diese fordert er, entgegen normaler Gewohnheit, auf, dass sie sich anstrengen möge, noch nervöser zu sein. Nach einer zweiten Aufforderung, sich noch stärker anzustrengen, muss die Studentin lachen, und ihre Nervosität ist dahin.
Vielleicht wäre das hilfreich für alle, die sich momentan besonders bemitleiden, weil die Zeiten so schwierig sind: Ich könnte mich dazu anleiten, mich noch mehr zu bemitleiden, so sehr, als ob ich der allerärmste Mensch auf der ganzen Welt wäre.
Irgendwann werde ich darüber lachen müssen wie die beiden Damen an der Bushaltestelle. Vielleicht werde ich so begreifen, dass es für mich gut ist, heiter zu bleiben, gerade dann, wenn es ernst wird.
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Über den Autor Pfarrer Christoph Seidl

seidl@seelsorge-pflege.de
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