




Morgenandacht, 30.01.2021
von Pfarrer Thomas Steiger, Stuttgart
Die Enzyklika AMORIS LAETITIA: Familie ist mehr
Vater, Mutter, eigene Kinder. So hat lange Zeit das Ideal einer christlichen Familie ausgesehen. Aber die Realität sieht inzwischen ganz anders aus; auch wenn die katholische Kirche sich schwertut, sich von diesem Modell zu verabschieden.
Kinder aus unterschiedlichen Herkunftsfamilien leben in einer neu gegründeten zusammen. Personen des gleichen Geschlechts gehen feste Partnerschaften ein und versprechen sich die Treue für ein ganzes Leben, so wie Eheleute das tun. Um zwei Beispiele von vielen zu nennen.
Bis heute hält die Lehre der Kirche daran fest, dass die Natur, wie Gott sie gemacht hat, nur ein ganz bestimmtes Modell des Zusammenlebens als gut und richtig akzeptiert. Auch Papst Franziskus kann sich in seiner Enzyklika über Liebe-Partnerschaft-Familie nicht davon befreien.
Aber er kommt darauf zu sprechen, benennt die Tatsachen, dass es da noch anderes gibt. Allerdings charakterisiert er das als Mangel. Und das ist, wie ich finde, an der Grenze zur Abwertung. Er spricht davon, dass die Menschen, die von der Norm abweichen, sich in einem Zustand der Zerbrechlichkeit befinden, dass sie aufgrund ihres Zustands leiden.
Womöglich sehen das die Betroffenen ganz anders. Es wird jedenfalls denen, die sich anstrengen, aus ihrer Situation das Beste zu machen, nicht gefallen. Es wird die ärgern, die ihre Lebensform für richtig und passend halten und kein Mitleid brauchen.
Trotzdem hat auch dieser Abschnitt im Schreiben des Papstes eine klare Perspektive. Es werden keine Urteile gesprochen. Die Türe bleibt offen. Franziskus will, dass seine Kirche nahe an den Menschen dranbleibt.
Er verlangt ausdrücklich, dass es in der Pastoral nicht nur um die Ehe gehen kann, sondern auch um die vielen Menschen, die diese Wirklichkeit nicht mehr leben[1].
Vor Jahren schon hat mir eine geschiedene Frau gesagt, wie sehr sie ein Zeichen vermisst, dass sie trotzdem dazugehört. Sie hätte sich auch ein Ritual gewünscht, das ihre Situation aufgreift.
Die Schuld der Partner hätte dabei zu Wort kommen können, ihr Scheitern und das Bedürfnis sich zu versöhnen. Und nicht zuletzt ein Segen für die vielen offenen Fragen in ihrem Leben.
Ich habe immer gut verstanden, dass Menschen den Segen Gottes suchen. Und ich habe es nie übers Herz gebracht, diesen Segen jemandem zu verweigern. Ich wäre mir dabei vorgekommen, als ob ich mich über Gott stellen würde.
Bei Jesus jedenfalls sehe ich nur anderes: dass er sich stets offen zeigt, wenn Menschen die Zuwendung Gottes suchen. So lese ich auch die folgenden Sätze von Papst Franziskus:
Der Weg der Kirche ist der, niemanden auf ewig zu verurteilen, die Barmherzigkeit Gottes über alle Menschen auszugießen, die sie mit ehrlichem Herzen erbitten. […] Denn die wirkliche Liebe ist immer unverdient, bedingungslos und gegenleistungsfrei. Daher sind […] Urteile zu vermeiden, welche die Komplexität der verschiedenen Situationen nicht berücksichtigen.
Ich finde, das ist ein erster Schritt. Wenigstens. Es kann aber nicht dabei bleiben. Mir ist klar, dass es nicht egal ist, wie Menschen leben. Wer mit anderen zusammenlebt - zumal auf so engem Raum wie in einer Partnerschaft und Familie - muss immer die anderen genauso im Blick haben wie sich selbst.
Wer zuerst an sich und seine Bedürfnisse denkt, ist kein guter Vater. Wem es in erster Linie darum geht, seine eigene Lust zu befriedigen, kein guter Partner. Das gilt immer. Es hat mit der konkreten Lebensform nichts zu tun.
Ich meine, so eine Offenheit und Freiheit kann man bei Jesus lernen. Sich daran zu halten, würde der Kirche nicht schaden, sondern sie attraktiv machen für viele, die ihr im Moment den Rücken kehren.
[1] AL 293
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Über den Autor Pfarrer Thomas Steiger

thomas.steiger@kirche-im-swr.de
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