




Morgenandacht, 30.12.2020
von Katharina Pomm, Apolda
Hinter Fragen
Ich habe in diesem Jahr etwas Neues gelernt. Und es hat nichts mit Corona zu tun.
Eher mit einem Brauch, den ich – wenn er ausgefallen wäre – gar nicht vermisst hätte.
Es ist das viel geschmähte Halloween gewesen, dass mir eine Lektion erteilt hat. Ausgerechnet Halloween – diese seltsame Mischung aus plattem Kommerz, geschmacklosem Grusel und frecher Erpressung von Süßigkeiten.
Ich denke immer noch so. Einerseits.
Andererseits wollten in diesem Jahr drei Kinder, die ich noch mehr liebe, als meine gut gepflegten Überzeugungen, unbedingt Halloween feiern. Ohne meine Zustimmung abzuwarten, begannen sie mit der Festplanung: Es dürfe nicht zu eklig werden. Und nicht zu gruselig. Dunkel zwar, aber nicht ganz stockfinster.
Ich beobachtete die Planungen verblüfft: Völlig unbekümmert wurden die Halloween-üblichen Deko-Elemente auf ihre Bedeutung hin überprüft. Die Gespenster durften bleiben, die Zombies flogen raus.
Tot sei ja schließlich tot, erklärte mir der Achtjährige. Er glaube nicht, dass da nochmal jemand zurückkäme. Und dann erfuhr ich, ganz nebenbei, wie er sich das vorstellt mit dem Tot-Sein. So schlimm sei das ja sicher nicht. Aber für die anderen sei es schlimm, die ihn dann vermissen.
Wen würde er vermissen, fragte ich. Seine Oma, sagte er. Die sei schon sehr krank und manchmal habe er Angst, dass sie stirbt und der Opa dann völlig allein sei.
Es war dieses spontane, kurze, aber intensive Gespräch, das mich nachdenklich gemacht hat. Denn letztlich hat ein von mir argwöhnisch beäugter und wenig geschätzter Brauch dazu geführt, dass ich einen anderen Menschen besser und tiefer kennen lernen konnte.
Wie ist das möglich geworden? Ich habe in diesem Jahr erlebt, dass es möglich wird durch gelassenes Zuhören. Durch Hinschauen. Durch vorurteilsfreies Wahrnehmen. Das kostet Kraft. Ich musste meine eigenen Überzeugungen erst mal einen Augenblick nach hinten stellen, damit sie das, was meine Sinne wahrnehmen, nicht gleich filtern und aussortieren.
Gelassenheit – das ist eine echte Herausforderung, wenn es um Dinge geht, die uns heilig sind. Das können Feste sein – Allerheiligen, der Reformationstag, Weihnachten oder Nikolaus.
Wir verbinden mit ihnen unzählige Erinnerungen. Von frühen Kindheitserfahrungen des Geborgen-Seins, des Wunderbaren mitten in dieser anstrengenden, manchmal feindlichen Welt. Erfahrungen, die uns heute, als Erwachsene, wichtig und wertvoll geworden sind.
Auch mit Glaubensinhalten verhält es sich so. Sie haben unsere eigene Identität tief geprägt, sie machen uns aus. Und weil es uns so wichtig ist, sind wir versucht, das auch auf andere zu übertragen.
Es stärkt uns, wenn wir sehen, dass andere unsere Erfahrungen, unsere Wertvorstellungen teilen. Gemeinschaft trägt. Doch lässt sie sich erzwingen?
Ich habe in diesem Jahr gelernt: Gemeinsamkeit, Verbundenheit ist ein Geschenk. Es ist etwas Zerbrechliches, das sich nicht erzwingen lässt, selbst von unseren eigenen Kindern nicht.
Nicht nur Menschen aus anderen Kulturen, auch unsere eigenen Kinder bilden und leben ihre eigenen Traditionen. Sie entdecken das, was ihnen wichtig ist, vielleicht in ganz anderen Bildern, Mustern oder Ritualen. Wenn es mir gelingt, gelassen Zuzuhören und nachzufragen – Was ist dir wichtig?
Und wenn ich selbst sagen kann, was mich trägt, dann lassen sich Gemeinsamkeiten entdecken, an die man gemeinsam anknüpfen kann.
Mich berührt das, wenn ich hinter Rituale, Bilder oder Deko-Elemente schauen kann. Wenn ich mit einem anderen das teilen kann, was hinter den Formen und Riten ist: Den Schrecken über den Tod.
Die Angst vor Abschieden. Die Sehnsucht nach Leben. Die stille, aber starke Zuversicht: Da ist etwas, das uns alle letztlich hält. Solche Begegnungen sind eine Gnade.
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Über die Autorin Katharina Pomm

katharina@pomm.de
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